Maria’s Geburt

PENG! Es ist kein praller Luftballon, der in mir platzt, sondern die Blase, die meine kostbare Frucht enthält. Viel warmes, klares Wasser ergießt sich schwallartig über unser Bett, in dem ich mich gemütlich mit einer Wärmflasche ausgeruht hatte, um die zarten Wehen zu unterstützen, die mich bereits den Abend über begleitet hatten. Entspannt hatten Jens und ich mit Freunden zusammen gesessen, Eis gegessen und nicht gewusst, aber leise geahnt, dass die  Geburt bereits begonnen hatte. Euphorie, Glück, Angst, alles in diesem Augenblick. Jetzt geht es also wirklich los, jetzt muss ich das Kind aus mir herauspressen, es gibt kein zurück mehr. Endlich dieser ersehnte Moment, auf den ich lange gewartet habe. Bald schon mein Baby in den Armen halten? Unvorstellbar.

Aufgeregt rufe ich Jens, der zunächst kaum glauben kann, was gerade passiert ist – bis er die durchnässte Matratze sieht. Als ich Petra anrufe, kann ich vor Zittern kaum ein klares Wort sprechen, zu bedeutsam und verheißungsvoll, großartig und herausfordernd scheint das, was nun vor mir liegt.

Wenig später liege ich in unserer heißen Badewanne und freue mich über die regelmäßigen Wehen, die ich sehr gut veratmen kann. In einem Anflug von Übermut und Glückseligkeit stelle ich mir hawaiianische Riesenwellen vor, auf denen ich unbeschwert surfe. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich die Wehen sehr gut aushalten kann, im warmen Wasser geht es mir gut. Doch Petra, die im kleinen Badezimmer mit ihrer beschlagenen Brille kaum etwas sehen kann als sie mich begrüßt, bringt mich auf den Boden der Tatsachen zurück: Es liegen wahrscheinlich noch einige Stunden harter Arbeit vor mir, ich solle mich besser nicht im heißen Wasserbad auspowern, sondern meine Kräfte sparen.

Im Wohnzimmer hilft mir der weiche Gymnastikball einer Freundin, auf dem ich die nun heftiger aufbrausenden Wehen im Vierfüßlerstand unter Jens’ liebevollem Streicheln gut veratmen kann. Schnell folgt nun eine Wehe auf die nächste, die Erholungszeiten werden knapper. Wie gern möchte ich mich ausruhen, Erleichterung haben. Ich versuche, mich kurz aufs Sofa zu legen, doch dabei sind die Schmerzen unerträglich. Innerlich schimpfe ich, denn ich würde so gern aus diesem Zug aussteigen, in dem ich bei rasender Geschwindigkeit gefangen bin. Ich empfinde mich als dümmste aller Frauen, weil ich unbedingt ein Kind haben wollte. Wie kann man sich bloß freiwillig in solch eine Situation bringen? Keine Zeit zum Nachdenken, die Arbeit geht weiter. Ich frage Petra nach potenziellen Schmerzmitteln, woraufhin sie zwinkernd entgegnet: „Das Wasser und Dein Tönen sind Deine Schmerzmittel.“ Also töne ich weiter, immer lauter, tiefer, inbrünstiger und gebe mich voll in den Geburtsprozess hinein. Ich komme nun richtig in Fahrt und mein innerer Widerstand nimmt ab.

Petra ruht sich bald darauf im Nebenzimmer ein wenig aus, denn es ist mitten in der Nacht und unklar, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Jens begleitet mich ruhig und stärkend durch den heftigen Rhythmus von kurzer Erholungspause und langen, aufbrausenden Wellen, die ich unter lautem Ausatmen ertrage. Ich konzentriere mich voll auf die Atmung und auf mein Baby, auf das ich mich so freue. Ihm scheint es gut zu gehen, auch die Herztöne zeigen das. Ich wünsche mir offen zu sein und weit, um meiner Kleinen einen leichten Weg ins Leben zu bereiten. Deswegen lasse ich beim Ausatmen meinen Mund und die Lippen locker geöffnet und suche dabei nach Entspannung unter größter Anspannung.

Ich rufe Petra, denn die Wehen sind nun extrem stark, zwischendrin gibt es keine richtige Erholung mehr. Jens lässt das Wasser im Gebärbecken ein, das wir im Wohnzimmer aufgebaut haben. Die Wärme tut mir unheimlich gut. Petra legt eine nasse Windel über meinen Kugelbauch, was sehr beruhigend ist. Im Vierfüßlerstand veratme und töne ich weiter, übermannt von den Wellen meines Körpers. Ich höre mich wie einen Stier röhren und wundere mich, dass sich keiner der Nachbarn meldet. Freia, die Praktikantin von Petra, kommt nun dazu, es ist ungefähr 3 Uhr nachts. Für mich spielt Zeit in diesem Moment jedoch keine Rolle. Ich bin ganz diesem mächtigen Gebären hingegeben, hin- und hergeworfen von Naturgewalten, die ich nicht kontrollieren kann. Ich habe mich losgelassen und gebe anstatt zu nehmen.

Darf ich nun endlich pressen? Auf meinem Unterleib lastet ein enormer Druck, ich spüre das schwere Gewicht meines Kindes auf meinem Muttermund. Es ist kaum zu ertragen. Petra untersucht mich und erklärt mir, dass ich noch nicht pressen darf, da der Muttermund noch nicht voll eröffnet ist und sonst anschwellen würde. Ich röhre aus voller Inbrunst und drücke so meinen Schmerz aus. Petra ermutigt mich zu tiefem Tönen, denn unter der Last war meine Stimme höher geworden. Mein Körper bebt unter diesen Wuchten.

Ich möchte aufs Klo. In einer kurzen Wehenpause laufe ich konzentriert mit Jens ins Bad. Dort angekommen entledige ich mich des Stuhlgangs, was unheimlich gut tut. Ich fühle mich nun frei und nach einer erneuten Untersuchung erlaubt Petra mir das Pressen. Juchu, die Presswehen beginnen! Zwei davon veratme ich auf der Toilette und es geht mir prächtig. Hier könnte ich bleiben, doch Jens und Petra schicken mich wieder ins Gebärbecken. Im Nachhinein bin froh, dass dies der Geburtsort sein sollte!

Im Wasser hänge ich mich ans Seil über mir, das Jens mit einem starken Karabinerhaken dort befestigt hatte. Es ist nun ziemlich ruhig, die Wehen lassen sich Zeit. Ich kann es kaum abwarten, dass es weiter geht. Das Pressen empfinde ich unheimlich befreiend, aktiv und erhebend. Petra holt den Gebärhocker ins Becken und erinnert mich daran, dass ich Pressen soll „als wenn ich einen Kacki rausdrücken wollte“. Das beschleunigt den Gang der Kleinen ungemein.

Nun stehen Jens und Petra mit im Becken. Petra fordert Jens auf, mich zwischen den Beinen zu berühren. Zögerlich tastet Jens und spürt den harten Kopf. Voll frohem Erstaunen fragt er: „Ist es schon so weit?“ „Nun zeige ich es ihm ganz.“, denke ich und nutze die nächsten beiden Presswehen um Maria durchs Wasser zur Welt zu bringen. Schnell flutscht sie ins Leben. In Jens’ Arme. Geschafft.

Ich lehne mich wie in Trance zurück. Nun bin ich Zuschauerin des Geschehens. Maria schaut mich an, zerknautscht und doch wachsam. Petra massiert ihren schmierigen Körper, saugt Schleim aus den Atemwegen. Endlich das erlösenden Quengeln der Kleinen, es geht ihr gut! Ich nehme sie in die Arme auf meine Brust. Wir sind im warmen Wasser, ich halte meine Tochter fest. Wie schön, dass Du bei uns bist, liebe Maria! Es war eine Traumgeburt mit Dir.

Danke, liebe Petra, für Deine zurückhaltende, einfühlsame und respektvolle Art, die die Geburt meines ersten Kindes zu einem sehr geborgenen Erlebnis gemacht hat. An den entscheidenden Stellen hast Du uns mit Deinem professionellen Handeln einen guten Weg entlang geführt. Deine ermutigenden Worte zwischendurch haben mich stolz und selbstbewusst gemacht. Wenn Gott uns noch ein Kind schenkt, wünsche ich mir wieder eine Hausgeburt mit Dir.